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Die Predigt des Kardinals Vinko Puljić, des Erzbischofs und Metropoliten von Vrhbosna (Sarajevo), anlässlich des 75 - jährigen Jubiläums seit der Tragödie am Bleiburger Feld und am Kreuzweg

Sarajevo (IKA)

Sarajevo, der Dom des Heiligsten Herzens Jesu, am 16, Mai 2020 um 12.15 Uhr.

Die Begrüßungsworte des Kardinals Vinko Puljić, des Erzbischofs und  Metropoliten von Vrhbosna (Sarajevo), anlässlich des 75 – jährigen Jubiläums seit der Tragödie am Bleiburger Feld und am Kreuzweg, am 16. Mai 2020:

Am Anfang dieser heiligen Messe, die wir heute für alle Opfer von Bleiburg und alle Opfer des Krieges und der Nachkriegszeit feiern, begrüße ich herzlichst Sie, alle Anwesenden im Dom des Heiligsten Herzens Jesu in Sarajevo, und auch Sie alle, die an dieser Messfeier über Fernsehen oder Radio teilnehmen.

Im Namen der katholischen Bischöfe des kroatischen Volkes, und vor allem in meinem Namen, richte ich meine Begrüßungsworte an Sie alle, die an unserem gemeinsamen Gebet für so viele Opfer der Gewalt teilnehmen.

Gleichzeitig begrüße ich den Bischof von Klagenfurt und alle Gläubigen seiner Diözese, wo sich das Bleiburger Feld befindet.

Wegen der Corona-Pandemie, die noch immer nicht gänzlich überwunden ist, konnten wir uns nicht am Bleiburger Feld versammeln, wo wir uns traditionell versammelten und für die Seelen der Opfer beteten.

 

Die Predigt des Kardinals Vinko Puljić, des Erzbischofs und  Metropoliten von Vrhbosna (Sarajevo), anlässlich des 75 – jährigen Jubiläums seit der Tragödie am Bleiburger Feld und am Kreuzweg, am 16. Mai 2020

Liebe Brüder im Bischofsamt!

Liebe Brüder Priester!

Liebe Schwestern und Brüder!

Man kann nicht anwesend bei diesem Gottesdienst anlässlich des Gedenkens aller Opfer am Bleiburger Feld, des Kreuzweges und aller Opfer des Hasses sein, wenn man nur ein bisschen darüber Bescheid weiß, was wirklich geschah, ohne in Herz und Seele Schmerz zu empfinden. Spontan wurden im Herzen der Respekt und das Gefühl des Vertrauens in Gott geweckt. Deshalb habe ich sofort die Einladung der Bischöfe des kroatischen Volkes angenommen, um diese heilige Messe und die Gedenkfeier als Gebets- und gläubiges Gedächtnis anlässlich der 75 Jahre seit der Tragödie aller Opfer unseres Volkes und anderer Opfer zu feiern.

Wir sind nur gekommen, um zu beten, damit uns das Gebet von aller Bitterkeit und negativen Gefühlen befreit, die sehr leicht hochkommen, wenn man sich an dieses Unheil erinnert. Heute sind wir im Gebet versammelt um das Heiligste darzubringen und so die verpflichtete Verehrung gegenüber allen diesen Opfern zu zeigen. Durch diese Verehrung wollen wir das wichtige Gedächtnis an sie, aber auch an die Freiheit, in der wir heutzutage leben, bewahren und auf ihr bauen. Somit wollen wir den Wert des Lebens in der Gegenwart erneuern, die alles tut, die Werte des Lebens beiseite zu schieben. Das bestätigen auch die Worte des heiligen Johannes Paul II:

„Es ist offensichtlich, dass das Schicksal des Friedens zum größeren Teil nicht nur den institutionellen Formen anvertraut ist, die man in jedem Fall dem ehrlichen Dialog und dem Respekt von der Gerechtigkeit unterordnen sollte. Das Schicksal des Friedens hängt hauptsächlich von der wieder gefundenen Solidarität der Herzen ab, die nach so viel Wut und Hass den Mut der Vergebung aufbringen. Es ist notwendig die Vergebung zu suchen und zu vergeben! Das bedeutet aber nicht, dass die menschliche Gerechtigkeit die Verbrechen nicht verfolgen sollte. Das ist sogar notwendig und wichtig, aber die Gerechtigkeit steht weit weg von dem blinden Hass und sie ist immer geleitet von dem starken Gefühl um das Allgemeinwohl, das sich nach der Verbesserung dessen sehnt, das verloren gegangen ist.“ (Johannes Paul II., Die vorgesehene Ansprache im Präsidium von Bosnien-Herzegowina am 8. September 1994).

 

Die Verehrung der Opfer

Die menschliche Kultur, egal ob die christliche oder die heidnische, pflegte immer eine besondere Verehrung gegenüber den Verstorbenen und ihren Gräbern. Dort, wo der Hass herrschte, ging dieses Gefühl des Respekts verloren. Wir können nicht unsere Verstorbenen vergessen, egal ob sie eines natürlichen Todes gestorben sind, oder ob sie der Hass tötete. Vor allem können wir nicht die vergessen, die ihr irdisches Leben unter solchen schweren Umständen beendeten, die gefoltert wurden und denen auf eine unmenschliche Art und Weise das Leben genommen wurde. Es ist nicht klar, welche Werte jemand in sich trägt, der den Respekt vor diesen Opfern verliert. Ich fürchte mich davor mit Menschen zusammenzuleben, denen nichts heilig ist und die fähig sind die fremden Heiligtümer zu zertreten.

Deshalb haben die Bischöfe der kroatischen Bischofskonferenz folgende Botschaft an die Öffentlichkeit gerichtet:

„Wir werden deshalb in diesem Jubiläumsjahr demütig vor Gott und auch vor den Menschen unsere christliche Verehrung allen Opfern erweisen, in erster Linie den Opfern des Zweiten Weltkrieges, aber auch den heutigen Opfern und den Opfern vor dem Zweiten Weltkrieg. All die Opfer auf unseren Gebieten erfüllten mit dem Blut und mit den Tränen fast unser ganzes 20. Jahrhundert. Wir beten hier für den ewigen Frieden für alle Getöteten. Das Recht auf Leben und die Würde jeder Person steht unter dem Schutz Gottes. Deshalb sind wir verpflichtet jedem unschuldigen Opfer die gleiche Verehrung zu erweisen. Da gibt es keine Unterschiede in Bezug auf Rasse, Nation, Konfession und Partei. Die fundamentale Gleichheit in der Würde aller Menschen geht aus der menschlichen Natur heraus, die nach Gottes Abbild erschaffen wurde. Die vereinzelten und vor allem die massenhaften Liquidationen ohne irgendein Gericht und ohne Beweise der Schuld sind immer und überall schwere Verbrechen vor Gott und vor den Menschen.“ (Aus dem Brief der Bischöfe der kroatischen Bischofskonferenz anlässlich des 50-jährigen Jubiläums seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges)

 

Das Geheimnis lüften

Mich erschüttert tief die Tatsache, dass während meines jetzigen Lebens, und ich bin im Jahr der Tragödie unseres Volkes geboren, das Geheimnis nicht gelüftet wurde und nicht alle Gräber entdeckt wurden, wo unsere Menschen massakriert und umgebracht worden sind. Auf ihrem Kreuzweg wurden sie begraben oder besser gesagt mit Erde überschüttet und manchmal auch zubetoniert. Als ich geboren wurde, geschah diese unglückliche Tat des Hasses unter dem Mantel des Sieges, ohne Gericht, geleitet von Willkür und großem Hass.

Ich bin in einer Atmosphäre großgeworden, in der man darüber nur flüsterte und man durfte nicht darüber schreiben oder laut reden. Ab und zu erschienen im Mai oder Juni die Kerzen auf den Äckern, wo sich die Massengräber befanden und wo diese Verbrechen begangen wurden. Heutzutage sind fast alle verstorben, die sich daran erinnerten und deshalb gibt es keine Kerzen auf den Äckern und in den Wäldern als Gedächtnis der Opfer des Hasses.

Hier erinnern wir uns an die, die in den Lagern, auf den Gebirgen, in den Tälern und auf den Feldern ums Leben kamen, angefangen vom Bleiburger Feld, über Dravograd und Maribor, Ogulin, Gospić, Jazovka, die Wälder von Macelj, Jasenovac, Glina, Kozara, Podgradac, Križevci, Bjelovar bis Srijemska Mitrovica, Sarajevo, Foča, Zenica, Široki Brijeg und Mostar. In unser Gebet schließen wir alle Ermordeten aus den anderen Städten und Dörfern ein, egal ob es bekannt oder unbekannt ist, wo ihre menschlichen Überreste ruhen. Wir fragen uns, wann das Schweigen von diesen Gräbern verschwinden wird. Heute hängt es von den Entscheidungsträgern in der Politik ab.

 

Die Wahrheit wird euch befreien

Es ist klar, dass man das Klima des Miteinanders, der Versöhnung, der Vergebung und des Vertrauens schaffen sollte. Aber diese wichtigen Lebensvoraussetzungen für den Aufbau des Friedens beruhen auf den Fundamenten der Wahrheit. Man kann den Prozess der Versöhnung und des Vertrauens nicht ohne innerliche Reinigung ausführen, die sich auf den Satz aus dem Evangelium stützt: „Die Wahrheit wird euch befreien“ Man sollte menschlich und gläubig jede Sache mit ihrem echten Namen benennen und auf die Tatsache hinweisen, die man nicht verneinen kann und nicht verschweigen darf. Erst wenn die Wahrheit akzeptiert wird, egal wie bitter sie ist, kann man den Raum für das Vertrauen unter den Menschen schaffen. Derjenige, der die Wahrheit nicht will, der versteckt sich hinter dem Bösen, das er verteidigt und so das Negative unter den Menschen unterstützt. Derjenige ist nicht der Erbauer des Friedens, sondern der Verbreiter des Bösen.

Kein Verbrechen darf man verteidigen. Derjenige, der sich vom Verbrechen nicht distanziert, ist der Mittäter und der Mitschuldige an diesem Verbrechen. Das gilt für den Einzelnen und für die Gemeinschaft.

Mit einem Verbrechen kann man das andere Verbrechen nicht heilen. Als der heilige Johannes Paul II. in Sarajevo war, sprach er folgende Worte: „Die Vergebung ist in ihrer kostbarsten und hochachtungsvollsten Form ein Akt der reinen Liebe, genauso wie die Versöhnung, die Gott den Menschen durch den Tod am Kreuz seines eingeborenen Sohnes, des einzigen Gerechten, anbot. Sicherlich, die Vergebung ist weit weg davon entfernt, die Wahrheit auszuschließen, sie sucht sie, weil die wesentliche Voraussetzung der Vergebung und der Versöhnung die Gerechtigkeit ist. Es ist eine große Wahrheit, dass die Vergebung zu suchen und vergeben ein ganz menschenwürdiger Weg ist.“ (Johannes Paul II. in der Predigt am Stadion Koševo, am 13. April 1997)

Keiner darf der Opfer vergessen, derer wir heute in unserem Gebet gedenken. Wir Christen glauben an das ewige Leben, an die Auferstehung der Toten und an die Unsterblichkeit der Seele. Aus diesem Glauben beten wir und verehren die irdischen Überreste unserer Verstorbenen.

Genauso darf niemand die Wunden derer berühren, die wegen des Verlustes ihrer Nächsten bluten. Keiner hat das Recht die Opfer zu beleidigen, die ihre menschlichen Überreste in dem Stück Erde ließen. Diese Erde, die wir Heimat nennen, ist durch so viele Opfer geheiligt. Wenn wir das nicht ehren können, dann gibt es in uns weder menschliche, noch gläubige, noch nationale Würde. Damit will ich keine Bitterkeit oder Hass provozieren, vor allem nicht die Rache, sondern klar sagen, dass der echte Dialog, der zur Versöhnung führt, nur durch die Akzeptanz der Wahrheit möglich ist. Papst Benedikt XVI spricht so: „Die Wahrheit zu verteidigen, sie demütig und überzeugt vorzubringen und sie im Leben zu bezeugen, sind daher anspruchsvolle und unersetzliche Formen der Liebe. Denn diese »freut sich an der Wahrheit« (1 Kor 13, 6).“ (Benedikt XVI., Caritas in veritate, Nr.1)

 

Eine Geschichte schreiben, die auf den historischen Grundlagen und nicht auf Politik und Propaganda beruht

Jetzt wird eine Geschichte geschrieben, die das Unheil relativieren möchte, weil man angeblich das Vertrauen und die Stabilität in der Region aufbauen sollte. Die Erinnerung an diese Opfer ist keine Kampagne, wie vor dem Heimatkrieg in den 1990-er Jahren, sondern das ist die Bewahrung der eigenen Würde, die die menschliche und die gläubige Verehrung der unschuldigen Opfer bewahren sollte.

Deshalb will ich wiederholen: Niemand hat das Recht die Opfer zu vernachlässigen für die wir heute beten. Wir Christen glauben an das ewige Leben, an die Auferstehung von den Toten und an die Unsterblichkeit der Seele. Aus diesem Glauben beten wir und erweisen unsere Hochachtung gegenüber den sterblichen Überresten aller Opfer.

Ich bedanke mich bei allen ehrenhaften Forschern und Suchern nach der historischen Wahrheit, die die Fakten sammeln.. Man kann es nicht einerseits die Symbole zu verteufeln, unter denen die Verbrechen begangen worden sind und andererseits jene Symbole, unter denen auch Verbrechen begangen worden sind, zu glorifizieren und der Öffentlichkeit als Symbole aufzwingen zu wollen.

Heute anlässlich der 75 Jahre der Opfer von Bleiburg am Kreuzweg, die die Opfer des Hasses und der Gewalt wurden, wollen wir unsere Stimme erheben und klar sagen, dass man die Manipulationen mit den Opfern beenden sollte.

Die Geschichte baut man nicht durch die Politisierung oder durch die Manipulation, sondern auf dem Fundament der Fakten, und auch so, dass man die Ursachen und die Folgen akzeptiert. Wir wollen, dass die zweifachen Maßstäbe in der Verehrung der Opfer des Hasses und des Massakers aufhören. Jeder Verstorbene hat jemanden, der in seinem Herzen wegen ihm blutet und nicht nur deshalb, weil es ihn nicht mehr gibt, weil er getötet und gefoltert wurde, sondern deshalb, weil die Wahrheit im Namen irgendeiner politischen „Wahrheit“, der Mythologie und der Macht, die sich nach den Interessen richtet, verneint wird.

Der Aufbau der Zivilisation der Liebe

Jesus, vom Ölberg nach Jerusalem kommend, schaute auf seine Lieblingsstadt und weinte über sie bitterlich: „O wenn du nur wüsstest, was gut für deine Rettung ist“. Es ist klar, dass er weinte, weil seine Lieblingsstadt die ihm geoffenbarte Wahrheit verachtet. So stehen wir heute vor unserem Volk und schreien: Wenn du das Opfer deiner Vorfahren zu schätzen wüsstest, wärest du fähiger an der Gegenwart zu bauen! Mein Volk, du hast deine Zukunft verloren, weil das Feuer in den Häusern erloschen ist und die Wiegen leer sind!

Die Zukunft des Volkes hat derjenige, der die Kinder hat. Wir lesen so viel die Bibel und lernen nicht, wie das auserwählte Volk seine Heimat als Geschenk Gottes erlebte. Sie ist heilig, weil Gott sie uns schenkte. Sie ist heilig, weil sie mit dem Blut so vieler unschuldiger Opfer, mit so vielen Tränen und Schweiß unserer Vorfahren getränkt wurde. Unsere Vorfahren gaben uns das Heiligste: den heiligen Glauben, die Taufe, die Frömmigkeit zur Mutter Gottes, als Zeichen der Identität – das ehrenhafte Kreuz und die Freiheit der Kinder Gottes, die Treue dem  Nachfolger Petri.

Der heilige Papst Johannes Paul der II. ermutigte uns anlässlich des großen Jubiläums im Jahre 2000 mit folgenden Wörtern:

„Als solche, denen verziehen ist und die zum Verzeihen bereit sind, beginnen die Christen das dritte Jahrtausend als glaubwürdigere Zeugen der Hoffnung. Nach Jahrhunderten, die von Gewalttaten und Zerstörungen gezeichnet waren, darunter besonders das letzte dramatische Jahrhundert, bietet die Kirche der Menschheit auf ihrem Weg ins dritte Jahrtausend das Evangelium der Vergebung und Versöhnung an als Voraussetzung zum Aufbau eines wahren Friedens.“ (Johannes Paul II, Die Worte zum Angelusgebet am Sonntag, den 12. März 2000)

Wer mutig genug ist die Wahrheit zu akzeptieren kann den Weg des Kreuzes Christi gehen, der für seine Feinde betet und ihnen vergibt. Wir wollen die wertvollen Nachkommen derer sein, die durch den Kreuzweg uns das Erbe hinterließen, damit wir das heilige Erbe lieben können, für dieses sterben können, wenn nötig und das Heiligste als Erbe den zukünftigen Generationen hinterlassen können. Ich schließe mit den Wörtern des Papstes Franziskus:

„Die Kirche hat den Auftrag, die Barmherzigkeit Gottes, das pulsierende Herz des Evangeliums, zu verkünden. Durch sie soll die Barmherzigkeit das Herz und den Verstand der Menschen erreichen.“ (Papst Franziskus, Misericordiae vultus, Nr. 12)